Deutscher Bundestag Drucksache 18/12179 18. Wahlperiode 10.05.2017 Gesetzentwurf der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Katja Dörner, Katja Keul, Maria Klein-Schmeink, Renate Künast, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Hans-Christian Ströbele, Doris Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz ‒ SelbstBestG) A. Problem Das Transsexuellengesetz (TSG) ist mehr als 30 Jahre alt und entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Es stellt für die Änderung der Vornamen und die Berichtigung des Geschlechtseintrages entsprechend der selbst bestimmten Geschlechtsidentität unbegründete Hürden auf, die das Selbstbestimmungsrecht in menschenunwürdiger Weise beeinträchtigen. Bereits sechs Mal hat das Bundesverfassungsgericht einzelne Vorschriften des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt (Beschluss vom 16. März 1982 – 1 BvR 983/81, Beschluss vom 26. Januar 1993 – 1 BvL 38, 40, 43/92, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvL 3/03, Beschluss vom 18. Juli 2006 – 1 BvL 1 und 12/04, Beschluss vom 27. Mai 2008 – 1 BvL 10/05, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3295/07). Auch weitere Vorschriften des TSG stehen verfassungsrechtlich in der Kritik, wie der psychopathologisierende Begutachtungszwang. B. Lösung Das TSG wird durch das Gesetz zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität ersetzt. Das Verfahren wird vereinfacht und bei den Standesämtern angesiedelt. Somit wird dem Selbstbestimmungsrecht und den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung getragen. C. Alternativen Auf den vom Deutschen Ethikrat in seiner Stellungnahme vom 23. Februar 2012 zur Intersexualität erörterten Vorschlag auf eine Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister ist zu verzichten. Drucksache 18/12179 –2– Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand Keine. E. Erfüllungsaufwand Durch den Vorschlag entstehen Kosten für Bund, Länder und Kommunen für den Ausbau der bisherigen Beratungsangebote, die zurzeit im überwiegenden Teil auf ehrenamtlicher Basis funktionieren und nicht bundesweit vorhanden sind. E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger Keiner. E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft Keiner. E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung Durch diesen Vorschlag ergeben sich Mehraufwendungen bei den nunmehr zuständigen Behörden (Standesämter), die angesichts der vergleichsweise geringen Fallzahlen kaum ins Gewicht fallen. Dem stehen erhebliche Einspareffekte gegenüber, die sich aus der Entlastung der Gerichte und insbesondere durch Einsparungen im Bereich der Verfahrenskostenhilfe ergeben, die bislang vor allem wegen der erheblichen Aufwendungen für die erforderlichen Gutachten in vergleichsweise vielen Fällen in Anspruch genommen werden musste. F. Weitere Kosten Keine. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode –3– Drucksache 18/12179 Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz ‒ SelbstBestG) Vom … Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 1 Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität §1 Antrag auf Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen (1) Das im Geburtseintrag angegebene Geschlecht einer Person ist auf ihren Antrag zu ändern, wenn sie 1. erklärt, dass das im Geburtseintrag angegebe Geschlecht ihrer Geschlechtsidentität nicht entspricht, und 2. deutsche Staatsangehörigkeit oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. (2) Im Antrag ist anzugeben, 1. ob im Geburtseintrag das Geschlecht „weiblich“, „männlich“ oder nach § 22 Absatz 4 des Personenstandsgesetzes keine Geschlechtsangabe einzutragen ist und 2. welche Vornamen einzutragen sind. (3) Der Antrag ist beim Standesamt des gewöhnlichen Aufenthalts oder im Falle von Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland auch in den deutschen Konsulaten zu stellen, die ihn dem Standesamt, bei dem die Geburt registriert wurde, unverzüglich übermitteln. Das Standesamt berichtigt den Registereintrag gemäß § 47 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes. Das Standesamt soll den Antrag binnen eines Monats zur Erledigung bringen. (4) Der Antrag kann nur abgelehnt werden, wenn er offenkundig missbräuchlich ist. §2 Geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen (1) Eine minderjährige Person, welche das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann den Antrag nach § 1 selbständig stellen. Dem Antrag ist eine Bescheinigung nach § 5 Absatz 5 beizufügen. (2) Eine Person, welche das 14. Lebensjahr nicht vollendet hat, oder eine geschäftsunfähige Person bedarf der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters. Dem Antrag ist eine Bescheinigung über eine getrennt voneinander durchgeführte Beratung nach § 5 Absatz 5 beizufügen. Verweigert der gesetzliche Vertreter die Zustimmung, so kann das Familiengericht sie ersetzen. Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes ist stets erforderlich. §3 Wirkungen der Berichtigung (1) Vom Zeitpunkt der Berichtigung des Geschlechtseintrages nach § 1 an richten sich die vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten der Antrag stellenden Person nach dem neuen Geschlecht. Drucksache 18/12179 –4– Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode (2) Die Berichtigung des Geschlechtseintrages nach § 1 lässt das Rechtsverhältnis zwischen der Antrag stellenden Person und seinen Eltern sowie zwischen der Antrag stellenden Person und seinen Kindern unter Berücksichtigung der Berichtigung der Geschlechtsangabe und Änderung der Vornamen unberührt. Gleiches gilt im Verhältnis zu den Abkömmlingen dieser Kinder. (3) Eine bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft bleibt von der Berichtigung des Geschlechtseintrages unberührt. Auf Antrag der beiden Ehegatten bzw. Lebenspartner wird eine bestehende Ehe bzw. Lebenspartnerschaft in eine Lebenspartnerschaft bzw. eine Ehe überführt. (4) Die Berichtigung des Geschlechtseintrages nach § 1 lässt die bestehenden Ansprüche auf Renten und vergleichbare wiederkehrende Leistungen unberührt. Bei einer sich unmittelbar anschließenden Leistung aus demselben Rechtsverhältnis ist, soweit es hierbei auf das Geschlecht ankommt, weiter von den Bewertungen auszugehen, die zum Zeitpunkt der Berichtigung des Geschlechtseintrages zugrunde gelegen haben. §4 Offenbarungsverbot (1) Nach der Berichtigung des Geschlechtseintrages und Eintragung der neuen Vornamen dürfen der frühere Geschlechtseintrag und die davor geführten Vornamen ohne Zustimmung der Antrag stellenden Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden, es sei denn, dass besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. (2) Die in den amtlichen Dokumenten und Registern enthaltenen Angaben über die Geschlechtszugehörigkeit sowie die vom Geschlecht abgeleiteten Buchstaben- oder Zahlenkombinationen sind unverzüglich zu ändern. (3) Für zivilrechtliche Verträge gilt Absatz 2 entsprechend. (4) Die vor der Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen nach § 1 erstellten amtlichen Dokumente sowie Zeugnisse aus früheren Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen sind entsprechend dem berichtigten Geschlechtseintrag und mit den neuen Vornamen mit ursprünglichem Datum neu auszustellen. Absatz 2 gilt entsprechend. (5) Ordnungswidrig handelt, wer die in den Absätzen 1 bis 4 enthaltenen Verbote und Pflichten vorsätzlich oder fahrlässig missachtet. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu eintausend Euro geahndet werden. §5 Beratung (1) Jede Person hat das Recht, sich zu Fragen der Geschlechtsidentität, derer Anerkennung nach diesem Gesetz und des diskriminierungsfreien Umgangs mit Personen, die die Rechte aus dem Gesetz in Anspruch nehmen, von einer hierzu geeigneten Beratungsstelle auf Wunsch anonym informieren und ergebnisoffen beraten zu lassen. (2) Der Anspruch auf Beratung umfasst 1. Aufklärung über die Geschlechtsidentität, die vom bei der Geburt vorgenommenen Geschlechtseintrag abweichen und im Einklang oder im Widerspruch mit den körperlichen Merkmalen empfunden werden kann, 2. Aufklärung über die Möglichkeiten, psychologische und medizinische Beratungs- und Begleitungsangebote wahrzunehmen, 3. Unterstützung bei der Selbstbestimmung eigener Geschlechtsidentität und Beratung über die möglichen sozialen Folgen einer Transition und Wege, mit diesen Folgen umzugehen, 4. Unterstützung bei der Abwägung, ob Möglichkeiten der hormonellen, chirurgischen und sonstigen körperlichen Angleichung in Anspruch genommen werden sollen, insbesondere bei irreversiblen Maßnahmen und bei geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Personen, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode –5– Drucksache 18/12179 5. Aufklärung über die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag zu berichtigen und die Vornamen zu ändern, soweit diese nicht mit der Geschlechtsidentität übereinstimmen, sowie darüber, dass diese Entscheidung selbstbestimmt und ohne äußere Beeinflussung getroffen werden darf, 6. Informationen über die Bedeutung und die rechtlichen und sozialen Folgen der Berichtigung des Geschlechtseintrages und Eintragung der neuen Vornamen nach diesem Gesetz, 7. Aufklärung über die Möglichkeiten einer Antragstellung im Falle einer Verweigerung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters sowie die für diesen Fall zur Verfügung stehenden Beratungs- und Hilfsangebote. 8. Das für Familie zuständige Bundesministerium koordiniert die Sammlung und Veröffentlichung von nationalen und regionalen Beratungsangeboten und Materialien nach diesem Gesetz. 9. Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot wohnortnaher Beratungsstellen für die Beratung sicher. Dabei werden Beratungsstellen freier Träger gefördert, insbesondere in denen eine besondere Sensibilisierung dank Zusammenarbeit mit Personen besteht, die Erfahrungen mit Geschlechtsidentität haben, die vom bei der Geburt vorgenommenen Geschlechtseintrag abweicht oder im Widerspruch mit den körperlichen Merkmalen empfunden wurde oder wird. 10. Die Beratungsstellen stellen nach Wunsch eine Bescheinigung über eine durchgeführte Beratung aus. §6 Anspruch auf Achtung des Selbstbestimmungsrechts bei Gesundheitsleistungen Vorschriften, die unmittelbar oder mittelbar Auswirkungen auf den Zugang zu oder die Gewährung oder Durchführung von Gesundheitsleistungen zur Modifizierung des eigenen Körpers entsprechend des selbst bestimmten Geschlechts im Hinblick auf Erscheinung und körperliche Funktionen haben, sind so anzuwenden, dass dem Selbstbestimmungsrecht der betreffenden Person Geltung verschafft wird. §7 Anhängiges Verfahren (1) Verfahren, die nach dem Transsexuellengesetz anhängig sind, werden mit der Zustimmung der Antrag stellenden Person nach den §§ 1 und 8 des Transsexuellengesetzes nach den Vorschriften dieses Gesetzes durchgeführt. Verweigert die Antrag stellende Person die Zustimmung, wird das Verfahren nach dem Transsexuellengesetz zu Ende geführt. (2) Die Verfahren werden dem Standesamt, bei dem die Geburt registriert wurde, zur weiteren Erledigung von den Amtsgerichten zugewiesen. (3) Die Anträge nach den §§ 1 und 8 des Transsexuellengesetzes gelten als Anträge nach § 1 dieses Gesetzes. (4) Die nach § 1 des Transsexuellengesetzes geführten Begutachtungsverfahren sind einzustellen. Verfahrenskosten sind nicht zu erheben. Die geleisteten Kostenvorschüsse werden zurückerstattet. Artikel 2 Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Dem § 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch … geändert worden ist, wird folgender Absatz 6 angefügt: „(6) Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts umfasst Benachteiligungen wegen der Geschlechtsidentität oder des Geschlechtsausdrucks.“ Drucksache 18/12179 –6– Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Artikel 3 Änderung des Personenstandsgesetzes Das Personenstandsgesetz vom 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122), das zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert: 1. Dem § 22 wird folgender Absatz 4 angefügt: „(4) Auf einen Antrag nach § 1 des Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität ist die Geschlechtsangabe aus dem Geburtsregister zu streichen.“ 2. § 47 wird wie folgt geändert: a) Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 3 eingefügt: „(3) Auf Antrag nach § 1 des Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität berichtigt das Standesamt den Registereintrag, erstellt einen den Änderungen entsprechenden Auszug aus dem Geburtsregister sowie eine Bescheinigung darüber aus, dass und welche Änderungen vorgenommen wurden, und übermittelt diese der antragstellenden Person.“ b) Die bisherigen Absätze 3 und 4 werden die Absätze 4 und 5. Artikel 4 Inkrafttreten, Außerkrafttreten Das Gesetz tritt am … [einsetzen: Datum des ersten Tages des dritten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats] in Kraft. Das Transsexuellengesetz vom 10. September 1980 (BGBl. I S. 1654), das zuletzt durch … geändert worden ist, tritt ein Jahr nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes außer Kraft. Berlin, den 25. April 2017 Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode –7– Drucksache 18/12179 Begründung A. Allgemeiner Teil Das Transsexuellengesetz ist seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1981 nicht mehr reformiert worden. Viele seiner Regelungen entsprechen aber nicht mehr dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Ziel der Reform ist es, die Grundrechte aller Menschen unabhängig von deren geschlechtlichen Identität in vollem Umfang zu verwirklichen, indem die tatsächliche geschlechtliche Vielfalt akzeptiert wird, anstatt Menschen in vorgegebene Raster zu pressen und ihnen das Leben damit zu erschweren. Auch verschiedene Eingaben an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages in den vergangenen Jahren zeigen, dass ein großes Bedürfnis nach einer raschen Reform des Transsexuellengesetzes besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in sechs Entscheidungen mit dem Transsexuellengesetz befasst und folgende Vorschriften für verfassungswidrig erklärt: - § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Transsexuellengesetzes verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit bei einem Transsexuellen unter 25 Jahren trotz Durchführung einer geschlechtsumwandelnden Operation und Erfüllung der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen die personenstandsrechtliche Feststellung der Zugehörigkeit zu dem anderen Geschlecht ausgeschlossen ist (Beschluss vom 16.03.1982 – 1 BvR 983/81), - es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, Transsexuellen unter 25 Jahren die Vornamensänderung nach § 1 des Transsexuellengesetzes zu versagen, die älteren Transsexuellen gewährt wird (BVerfG, Beschluss vom 26.01.1993 – 1 BvL 38, 40, 43/92), - § 7 Abs. 1 Nr. 3 des Transsexuellengesetzes verletzt das von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Namensrecht eines homosexuell orientierten Transsexuellen sowie sein Recht auf Schutz seiner Intimsphäre, solange ihm eine rechtlich gesicherte Partnerschaft nicht ohne Verlust des geänderten, seinem empfundenen Geschlecht entsprechenden Vornamens eröffnet ist; die Norm ist deshalb bis zu einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvL 3/03), - § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Transsexuellengesetzes verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), soweit er ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, von der Antragsberechtigung zur Änderung des Vornamens und zur Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG ausnimmt, sofern deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen nicht kennt (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2006 – 1 BvL 1 und 12/04), - § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Transsexuellengesetzes ist mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, weil er einem verheirateten Transsexuellen, der sich geschlechtsändernden Operationen unterzogen hat, die Möglichkeit, die personenstandsrechtliche Anerkennung seiner neuen Geschlechtszugehörigkeit zu erhalten, nur einräumt, wenn seine Ehe zuvor geschieden wird (BVerfG, Beschluss vom 27.05.2008 – 1 BvL 10/05) und - es verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, dass ein Transsexueller, der die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Transsexuellengesetz erfüllt, zur rechtlichen Absicherung seiner gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nur dann eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründen kann, wenn er sich zuvor gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 des Transsexuellengesetzes einem seine äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat sowie dauernd fortpflanzungsunfähig ist und aufgrund dessen personenstandsrechtlich im empfundenen und gelebten Geschlecht Anerkennung gefunden hat. (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3295/07). In diesen sechs Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht Feststellungen getroffen und Grundsätze formuliert, die eine Überarbeitung des Transsexuellengesetzes notwendig machen und dafür Maßstäbe vorgegeben: Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) schütze die Würde des Menschen in der Individualität, in der er sich selbst begreift. Dieser Verfassungsgrundwert gewährleiste zugleich in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 1 GG die Freiheit des Individuums, sich seinen Fähigkeiten und Kräften entsprechend zu entfalten. Die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, betreffe dabei einen Bereich, den das Grundgesetz als Teil der Drucksache 18/12179 –8– Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz der Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG gestellt habe. Jede Person könne daher von den staatlichen Organen die Achtung dieses Bereichs verlangen. Das schließe die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren. Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG schütze den Vornamen eines Menschen zum einen als Mittel zu seiner Identitätsfindung und Entwicklung der eigenen Identität, zum anderen als Ausdruck seiner erfahrenen oder gewonnenen geschlechtlichen Identität. Die sich im so gewählten und geführten Vornamen widerspiegelnde eigene Geschlechtszuordnung gehöre zum intimsten Bereich der Persönlichkeit eines Menschen, der prinzipiell staatlichem Zugriff entzogen ist. Deshalb dürfe in das Recht an dem Vornamen, der das Ergebnis der eigenen geschlechtlichen Identitätsfindung des Namensträgers ist und sie widerspiegelt, nur bei Vorliegen besonders gewichtiger öffentlicher Belange eingegriffen werden. Der vom Persönlichkeitsrecht geschützte Wunsch nach Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit im Vornamen umfasse damit auch das Recht, in der empfundenen Geschlechtlichkeit mit Namen angesprochen und anerkannt zu werden und sich nicht im Alltag Dritten oder Behörden gegenüber hinsichtlich der eigenen Geschlechtsidentität gesondert offenbaren zu müssen. Aus der Achtung der Menschenwürde und dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit folge das Gebot, den Personenstand des Menschen dem Geschlecht zuzuordnen, dem er nach seiner psychischen und physischen Konstitution zugehört. Im geltenden Transsexuellenrecht steht die sog. Begutachtungspraxis besonders in der Kritik. Ursprünglicher Zweck, die Vornamens- und Personenstandsänderung an die Begutachtung durch zwei unabhängige Sachverständige zu knüpfen, war nach den Gesetzgebungsmaterialien die Vermeidung eines Verstoßes gegen das Sittengesetz (d. h. keine staatliche Duldung oder gar Förderung von homosexuellen Gemeinschaften), der Schutz vor übereilten Entscheidungen sowie eine Art Beratungsfunktion: Indem auch die Vornamensänderung an die Begutachtung geknüpft wurde, sollte sichergestellt sein, dass auch Personen, die noch nicht in ärztlicher Behandlung waren (die Personenstandsänderung setzte ja ohnehin somatische Maßnahmen voraus), „auf die Wichtigkeit einer ärztlichen Beratung und Betreuung hingeführt“ würden (BT-Drs. 8/2947, S. 12). Dieser Zweck wird durch die Rechtswirklichkeit konterkariert. Eine deutschlandweite Befragung ergab, dass die Begutachtung nicht als hilfreiche Unterstützung, sehr häufig aber als Eingriff in die Selbstbestimmung und in die Privatsphäre empfunden wird (Adamietz/Bager im Auftrag des BMFSFJ, Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen, 2017, Anhang 3, Teil 2). Es zeigte sich hingegen, dass Krankenkassen regelmäßig die Gutachten aus dem TSGVerfahren zur Änderung des Vornamens und (seit Wegfall der Operationspflicht nach § 8 TSG) des Personenstandes verlangen, um die ihrer Zuständigkeit unterfallende Begutachtung im Rahmen der Kostenübernahmepflicht für somatische Angleichungsmaßnahmen zu erleichtern. Berichtet wurde, dass die Krankenkassen die Diagnose „Transsexualität“ teilweise infrage stellen, wenn noch kein TSG-Verfahren durchlaufen wurde, um die Gewährung von Angleichungsmaßnahmen zu verweigern. Die vormals durch § 8 TSG vorgegebene Reihenfolge (erst körperliche Angleichung, dann Personenstandsänderung) wird so umgekehrt. Dies kann dazu führen, dass Versicherten adäquate Gesundheitsversorgung verweigert wird, weil sie nicht die psychischen Ressourcen haben, sich neben den oft langwierigen Auseinandersetzungen mit der Krankenkasse zusätzlich dem Begutachtungsverfahren im Rahmen des TSG-Verfahrens zu widmen. Zudem empfinden Kinder die Begutachtung als besonders übergriffig. Eltern berichten von den Schwierigkeiten, dem Kind zu vermitteln, dass es fremden Menschen intime Fragen beantworten muss, nachdem es seine Identität schon den Familienangehörigen und z. T. auch schon der Schule begreiflich gemacht hat und es nun nur noch darum geht, mit einem passenden Ausweisdokument eine Auslandsreise zu ermöglichen oder in einer nichtunterstützenden Schule die Verwendung des richtigen Vornamens und Pronomens zu erreichen. Es ist von Einzelfällen acht- oder sogar zwölfstündiger Gutachtersitzungen berichtet worden, die den Kindern zugemutet werden (vgl. Krell/Oldemeier, „Coming-out – und dann...?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen, 2015), wohl um die Ernsthaftigkeit des Wunsches nach einem TSG-Verfahren zu „testen“. Dies ist sicherlich als Verletzung der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit zu bewerten und dürfte auch gegen das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe verstoßen. Vonseiten der Begutachtenden selbst wird inzwischen verstärkt vertreten, die Begutachtungspflicht abzuschaffen (Adamietz/Bager im Auftrag des BMFSFJ, Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen, 2017, S. 12). Die Begutachtung ergebe nur in unter 1 % der Fälle eine Verneinung der nach § 4 TSG zu beant- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode –9– Drucksache 18/12179 wortenden Frage nach einer höchstwahrscheinlich dauerhaft vorliegenden, seit drei Jahren bestehenden transsexuellen Prägung. Die Geschlechtsidentität eines Menschen könne ohnehin nicht fremdbegutachtet werden, die Begutachtung könne insofern nur wiedergeben, was der Mensch über sich selbst berichtet. Die seit Inkrafttreten des TSG erhobenen Verfahrenszahlen bestätigen dies. Die Rate der abgelehnten Anträge liegt seit Inkrafttreten des TSG bei unter 5 %, Tendenz abnehmend. Die gesellschaftliche wie rechtliche Situation der transsexuellen Menschen wird seit einigen Jahren auf der europäischen Ebene kritisch betrachtet. Bereits in den 2010 verabschiedeten Empfehlungen sprach sich das Ministerkomitee des Europarats für eine reguläre Überprüfung der anschlägigen Gesetzgebung zwecks Vermeidung unnötiger Voraussetzungen für eine Geschlechtsanpassung sowie für ein „schnelles, transparentes und zugängliches Verfahren“ zur Vornamensänderung (Recommendation CM/Rec(2010)5). Ferner hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats am 29. April 2010 alle Mitgliedstaaten aufgerufen, gesetzgeberische Vorkehrungen zu unternehmen, die den transsexuellen Menschen das Recht auf Ausstellen amtlicher Dokumente mit Angabe des gewünschten Geschlechts einräumen, ohne zuvor einen operativen Eingriff bzw. Hormontherapie durchführen zu müssen (Resolution 1728 (2010)). Auch die anderen internationalen Institutionen forderten vom Gesetzgeber, die Rechtsordnung so auszugestalten, dass ein Geschlechtseintrag schnell, transparent und leicht zugänglich änderbar sein sollte (Menschenrechtskommissar des Europarats (2015): Human rights and intersex people. CommDH/Issue-Paper (2015) 1 1, Empfehlung Nr. 4, S. 9 und S. 37 ff.; Parlamentarische Versammlung (2015): Resolution 2048 „Discrimination against transgender people in Europe“; Yogyakarta-Prinzipien, Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität von 2006, Prinzip 4; s. auch das 7. und 8. Staatenberichtsverfahren des CEDAW-Ausschusses, Nr. 21., 45. und 46.). In diesem Kontext ist es wichtig auf die Bestrebungen hinzuweisen, ab 2018 in revidierten Internationalen Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation WHO (ICD-11) Transsexualität als „geschlechtliche Nichtübereinstimmung“ zu klassifizieren, was als längst überfällig zu bewerten ist. Durch diese Neubezeichnung entfiele die bisherige Einordnung unter bisherigen Klassifikation (ICD-10) als psychische Störung. (vgl. http://apps.who.int/classifications/icd11/browse/f/en#!/http%3A%2F%2Fid.who.int%2Ficd%2Fentity%2F160690465). Schließlich zeigt eine rechtsvergleichende Analyse, dass die Reformbestrebungen im Bereich des Selbstbestimmungsrecht alle in die ähnliche Richtung gehen: Argentinien (2012), Schweden (2012), Dänemark (2014) und Malta (2015) haben ein Antragsverfahren ohne Begutachtung für die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität eingeführt (Personenstands- und Namensänderung). Irland hat ein entsprechendes Gesetz im Juli 2015 verabschiedet, Norwegen ebenfalls im Juni 2016. B. Besonderer Teil Zu Artikel 1 (Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität) Zu § 1 (Antrag auf Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen) Zu Absatz 1 Die Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen sollen Menschen ermöglichen, in der ihren Empfinden entsprechenden, selbstbestimmten Geschlechtsidentität zu leben, ohne sich im Alltag Dritten und Behörden gegenüber offenbaren zu müssen. Das Verfahren wird daher deutlich vereinfacht und nur vom Geschlechtsempfinden der Antrag stellenden Person abhängig gemacht. Es wird nunmehr auf die bisher geforderte mindestens dreijährige Dauer des Zwangs des Zugehörigkeitsempfindens zum anderen Geschlecht sowie auf den irreversiblen Charakter dieses Empfindens verzichtet. Geschlechtsidentität kann nicht diagnostiziert werden, lediglich der Antrag stellenden Person selbst kann letztlich darüber Auskunft geben. Ferner tastet eine Überprüfung des Ergebnisses des Sich-Selbst-Begreifens von Staats wegen einen der intimsten Bereiche des Menschen an, den das Grundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art 1 Abs. 1 GG gestellt hat. In Nummer 2 werden die statusrechtlichen Zugangsvoraussetzungen definiert. Der Zugang zum Verfahren für Personen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, sollte nicht mehr davon abhängig gemacht werden, ob das Drucksache 18/12179 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Heimatrecht eine vergleichbare Regelung kennt, da die Prüfung dieser Frage regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten bereitet und das Verfahren verzögert. Daher darf der Antrag auf Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen von deutschen Staatsangehörigen oder allen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, gestellt werden. Zu Absatz 2 Im Antrag nach § 1 sind zu bezeichnen einerseits die im Geburtseintrag einzutragende Geschlechtsangabe und andererseits die Vornamen, falls sie geändert werden sollten. Bei der Geschlechtsangabe kann die Antrag stellende Person zwischen drei Optionen wählen: „weiblich“, „männlich“ und keine Angabe. Die letztere Option wurde bereits 2013 mit dem Personenstandsrechts-Änderungsgesetz (Bundestagsdrucksachennummer 17/10489) eingeführt. Die Rechtsprechung hat darauf den neuen § 22 Abs. 3 PStG weiterentwickelt und festgestellt, dass er nicht ausschließlich den Fall erfasst, dass bei einem Neugeborenen für eine Übergangszeit eine Geschlechterzuordnung nicht möglich ist. Auch die Meinung der Bundesregierung nach hätten auch ältere Kinder und Erwachsene aufgrund dieser Vorschrift die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag im Geburtenregister offen zu lassen oder – soweit bereits eine Eintragung des Geschlechts in „weiblich“ oder „männlich“ vorgenommen wurde – diesen Eintrag nach den §§ 47 ff. PStG berichtigen zu lassen, weil er bereits seit der Geburtsbeurkundung unrichtig sei (Antwort auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 18/7310). Zu Absatz 3 Es wird auf die Anrufung eines Gerichts verzichtet. Der Antrag ist bei den Standesämter zu stellen, so dass die Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen im Rahmen eines Verwaltungsaktes erfolgen. Der Antrag ist beim Standesamt des gewöhnlichen Aufenthalts oder im Falle von Deutschen mit gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland auch in den deutschen Generalkonsulaten, Konsulaten sowie Konsularabteilungen der Botschaften zu stellen, die ihn dem Standesamt, bei dem die Geburt registriert wurde, unverzüglich übermitteln. Damit wird das Verfahren vereinfacht und beschleunigt, so wie das bei Berichtigungen ohne Mitwirkung des Gerichts gem. § 47 des Personenstandsgesetzes (PStG) der Fall ist. Dafür wird der neue Absatz 3 im PStG eingeführt. Da es sich in solchen Fällen um ebenfalls nicht der wahren Identität der Antrag stellenden Person entsprechenden Angaben im Geburtenregister handelt, wird die unkomplizierte Änderung des Registereintrags ermöglicht. Die Höchstbearbeitungszeit beträgt einen Monat. Zu Absatz 4 Die Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen kann nur versagt werden, wenn sie offenkundig missbräuchlich ist. Das ist besonders der Fall, wenn sie zur Verschleierung der Identität beantragt wird. Ansonsten wird dem Antrag stets stattgegeben und auf die medizinisch wie verfassungsrechtlich fragwürdige Überprüfung der Geschlechtsidentität verzichtet. Zu § 2 (Geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen) Zu Absatz 1 Die Regelung ermöglicht ab Vollendung des 14. Lebensjahres die Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen auch ohne Mitwirken des gesetzlichen Vertreters. Ab diesem Alter misst die Rechtsordnung Minderjährigen die Fähigkeit bei, Verantwortung für Handlungen und (identitätsbezogene) Entscheidungen zu übernehmen, so etwa durch die Strafmündigkeit und die Religionsmündigkeit. Vor Antragstellung sind Minderjährige über 14 Jahren zu beraten, um sie über die rechtlichen und möglichen sozialen Folgen eines Änderungsverfahrens, insbesondere im Fall von mangelnder Unterstützung durch die Eltern, aufzuklären und sie bei der Abwägung zu unterstützen, ob eine Antragstellung in Betracht kommt. Zu Absatz 2 Der Absatz stellt klar, dass das Verfahren für Personen, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, sowie für geschäftsunfähige Personen der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertretung bedarf. Diese kann im Falle einer Weigerung gerichtlich ersetzt werden, wofür die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands bestimmt ist. Die Erfordernis einer getrennt voneinander durchgeführten Beratung nach § 5 stellt sicher, dass dem Kind die Bedeutung und die Auswirkung der zu beantragenden Änderung sowie der Umstand bewusst ist, die Entscheidung darüber ohne Beeinflussung durch andere treffen zu dürfen. Den gesetzlichen Vertreter ist insbesondere das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/12179 Selbstbestimmungsrecht des Kindes bzw. der geschäftsunfähigen Person zu verdeutlichen sowie die Notwendigkeit, sie vor etwaigen Versuchen der fremdbestimmten Vereindeutigung ihrer Geschlechtszuordnung zu schützen. Zu § 3 (Wirkungen der Berichtigung) Zu Absatz 1 Die Vorschrift entspricht der bisherigen Gesetzeslage. Die aus der Geschlechtszugehörigkeit folgenden Rechte und Pflichten des Betroffenen sollen sich von dem Tag der Berichtigung des Geschlechtseintrages an allgemein nach dem neuen Geschlecht richten. Zu Absatz 2 Die Vorschrift soll die berechtigten Interessen der Kinder der Antrag stellenden Person wahren. Dazu gehört insbesondere, dass sein Status als Elternteil unter Berücksichtigung der neuen Personenstandsdaten auf jeden Fall unberührt bleiben soll, so z. B. für den Unterhalt, das Erbrecht, die Vaterschaftsfeststellung oder die Ehelichkeitsanfechtung. Zu Absatz 3 Nach diesem Absatz können familienrechtliche Institute des Zusammenlebens weiter geführt werden, so dass die Rechte und Pflichten der Eheleute bzw. Lebenspartner bestehen bleiben. Dies entspricht das dem heutigen Gesetzesstand. Darüber hinaus wird die Möglichkeit eingeräumt, auf Antrag die Ehe bzw. Lebenspartnerschaft in eine Lebenspartnerschaft bzw. Ehe zu überführen. Dies soll verschiedengeschlechtlichen Lebenspartnern die Eingehung einer Ehe ermöglichen, ohne dass sie zum einjährigen Getrenntleben und zur darauf folgenden Aufhebung der Lebenspartnerschaft gezwungen werden, was eine unbillige Härte darstellt. Mit der Überführung der Ehe in eine Lebenspartnerschaft soll die Nichterkennbarkeit der transsexuellen Identität eines Partners in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gewährleistet werden. Sollte der Gesetzgeber durch Ergänzung von § 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) klarstellen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe eingehen können (s. den Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 18/5098), bestünde das Problem nicht mehr. Zu Absatz 4 § 6 enthält Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz des § 4 Abs. 1. Eine abschließende Aufzählung der Renten und vergleichbaren wiederkehrenden Leistungen, die unberührt bleiben sollen, ist bei der großen Zahl der in Frage kommenden Ansprüche nicht zweckmäßig. Zu § 4 (Offenbarungsverbot) Die Vorschrift soll den Betroffenen vor einer grundlosen Aufdeckung der von ihnen vor der Entscheidung geführten Vornamen schützen. Durch die Absätze 2 bis 5 wird das Offenbarungsverbot näher beschrieben. Zunächst wird klargestellt, dass die geänderten Angaben in amtlichen Dokumenten und Registern unverzüglich zu ändern und der berichtigte Geschlechtseintrag sowie die geänderten Vornamen zu verwenden sind. Absatz 3 bestimmt, dass das Offenbarungsverbot auch bei zivilrechtlichen Verträgen gilt. Absatz 4 bezieht in diese Grundsätze auch amtliche Dokumente sowie Zeugnisse aus früheren Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen ein, die vor der Rechtskraft der Entscheidung über die Vornamensänderung erteilt bzw. erstellt worden sind. Dies können z. B. Schul-, Dienst- bzw. Arbeits-, Praktikum-, Schulungszeugnisse sein, die der Betroffene im Berufsalltag benötigt. Sie sind entsprechend des berichtigten Geschlechtseintrags und mit den neuen Vornamen mit ursprünglichem Datum neu auszustellen. Absatz 5 bestimmt die Missachtung der in den Absätzen 1 bis 4 enthaltenen Verbote und Pflichte als ordnungswidrig und mit einer Geldbuße bis zu tausend Euro zu ahnden. Eine effektive Bußgeldbewehrung soll die irreversiblen Schäden und das Ausmaß der potenziellen Diskriminierungserfahrungen berücksichtigen, die durch die jeweilige Offenbarung verursacht werden können. Zu § 5 (Beratung) Der Anspruch auf psychosoziale Beratung soll dazu beitragen, das Selbstbestimmungsrecht ungehindert auszuüben und Unterstützung für den Umgang mit belastenden Lebenssituationen zu bieten. Die Lebenswirklichkeit von Menschen, denen bei Geburt ein nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmendes Geschlecht zugewiesen wurde, ist häufig von Diskriminierung, Stigmatisierung und Ablehnung auch durch das nächste Umfeld geprägt (vgl. Antwort auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. Drucksache 18/12179 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 18/9217). Ein am Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Juni 2016 veranstalteter Fachaustausch „Beratungs- und Unterstützungsbedarfe für transsexuelle und trans* Menschen und ihre Angehörigen in verschiedenen Lebenssituationen“ ergab einen großen Bedarf an Beratungsstellen, insbesondere von Peer-Beratung oder „Community based“-Beratung, zeigte aber auch, dass es bundesweit schon vorhandene Angebote gibt und die sogenannte Regelberatung, d. h. Angebote der größeren freien Träger wie der Evangelischen Kirche oder pro familia e. V., bereit ist, sich der Thematik zu widmen und eigene Angebote bereitzustellen. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zum TSG ist der Bedarf von Beratung benannt worden: Der Begutachtungspflicht nach § 4 Absatz 2 TSG wurde auch eine Beratungsfunktion beigemessen (BT-Drs. 8/2947). Diese hat sich in der Praxis aber als nicht realisierbar herausgestellt. Die Systematik des mit diesem Gesetz eingeführten Verfahrens zur Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung von Vornamen sieht die Einbeziehung der zu schaffenden, teilweise auch schon vorhandenen Beratungsstrukturen bei Verfahren von Minderjährigen oder Geschäftsunfähigen vor. Zu § 6 (Anspruch auf Achtung des Selbstbestimmungsrechts bei Gesundheitsleistungen) Ohne konkrete Behandlungsstandards festzulegen, ist die Vorschrift Auslegungshilfe bei der Gestaltung und Abwicklung von Leistungen der Gesundheitsversorgung. Sie dient Patientinnen und Patienten (da die Bundestagsverwaltung die Benutzung des Gendersternchens mit Ausnahme von Zitierungen nicht zulässt, betont die den Antrag stellende Fraktion, dass hier alle Menschen unabhängig ihrer Geschlechtsidentität bzw. des Geschlechtseintrages mitgemeint sind) als Leitlinie bei der Ausübung ihrer Patientenrechte und soll zur Prävention von Diskriminierung beitragen. Der Vorschrift liegt der Befund des Europarats-Kommissars für Menschenrechte Hammarberg (Empfehlungen des Europarats-Kommissars für Menschenrechte Thomas Hammarberg, Discrimination on grounds of sexual orientation and gender identity in Europe, 2nd Edition (2011), S. 9) und des Gutachtens „Regelungs- und Reformbedarf für transsexuelle/-geschlechtliche Menschen“ (Adamietz/Bager im Auftrag des BMSFJ, 2017) zugrunde, dass ein Großteil der Diskriminierung von Menschen, denen bei Geburt ein nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmendes Geschlecht zugewiesen wurde, im Gesundheitssystem stattfindet. Dies reiche von einem diskriminierenden, abwertenden Umgang bei der Sachbearbeitung bis zur Interpretation von Begutachtungs- und Behandlungsleitlinien zum Nachteil der versicherten Personen. Auch für das Begutachtungssystem des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen wird eine über die Begutachtungsleitlinie (MDS-Richtlinie „Begutachtungsanleitung Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität“, 2009, Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes zur Sicherung einer einheitlichen Begutachtung nach § 282 Absatz 2, Satz 3 SGB V) vermittelte Tendenz zur „Fehlersuche“ anstelle eines Mitwirkens an der bestmöglichen Linderung krankheitswertigen Leidens konstatiert (Nieder/Cerwenka/Richter-Appelt, Nationale und internationale Ansätze der Diagnostik und Versorgung von Menschen mit Transsexualität oder Geschlechtsdysphorie, in: Richter-Appelt/Nieder, (Hg.), Transgender Gesundheitsversorgung. Eine kommentierte Herausgabe der Standards of Care der World Professional Association for Transgender Health, Gießen 2014, S. 19–43 (28/29)). Dieser Befund ist in Zusammenhang mit der langjährigen Behandlung von Transsexualität als psychiatrischer Störung zu sehen, welche heute nicht mehr zu vertreten ist und die zu Stigmatisierung führt. Werden Versicherte, deren Geschlechtsidentität vom bei Geburt zugewiesenen Geschlecht abweicht, per se als psychisch gestört angesehen, erschwert dies die Beachtung ihres geäußerten Patientenwillens und beeinträchtigt ihre Möglichkeiten, ihre Patientenrechte selbstbestimmt auszuüben. Nach der Resolution 2048 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sind die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines stigmafreien Zugangs zu chirurgischen, hormonellen und psychologischen Behandlungen aufgefordert, die finanziell durch das Gesundheitssystem getragen werden (Forderungen 6.3.1 und 6.3.3 der Resolution 2048 (UN-Doc. 1347) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats „Discrimination Against Transgender People in Europe“ v. 22.04.2015). Vergleichbare Vorschriften sind 2012 in Argentinien und 2014 in Malta verabschiedet worden. Die argentinische Vorschrift hat ausweislich der zwei Jahre nach Inkrafttreten durchgeführten Evaluation zu einer ganz erheblichen Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Menschen, denen bei Geburt ein nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmendes Geschlecht zugewiesen wurde, geführt. Allerdings war diese zuvor nicht Teil des gesetzlichen Gesundheitssystems. Eine Verankerung des Zugangs zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen und der entsprechenden Kostentragung über die gesetzliche Krankenversicherung, wie dies der Menschenrechtskommissar empfiehlt, erscheint für Deutschland nicht notwendig, da dieser Zugang nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht (BSG, Grundsatzentscheidungen vom 06.08.1987 – 3 RK 15/86 – und vom 11.09.2012 – B 1 KR 3/12 R; B 1 KR 9/12 sowie B 1 KR 11/12 R –). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/12179 Zu § 7 (Anhängiges Verfahren) Bei anhängigen Verfahren liegt die Entscheidung bei der Antrag stellenden Person nach § 1 und § 8 TSG, ob das Verfahren nach dem Transsexuellengesetz oder nach den Vorschriften dieses Gesetzes durchgeführt wird. Mit der Zustimmung der Antrag stellenden Person ist daher ein anhängiges Verfahren unmittelbar abzubrechen und im Wege der sonstigen Erledigung zur Einstellung zu bringen. Zudem ist es nicht zumutbar, dass die Personen, die nach den bisherigen gesetzlichen Vorschriften des TSG Verfahren anhängig gemacht haben, mit Kosten solcher Verfahren belastet werden, nachdem der Gesetzgeber ein neues Regelungsregime mit dem Paradigmenwechsel zur Selbstbestimmung statuiert hat. Die dadurch der Justizkasse entstehenden Lasten werden durch die Beendigung laufender Verfahren gemindert und durch den Fortfall künftiger VKH-Verfahren mehr als ausgeglichen. Zu Artikel 2 (Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes) Nach der Gesetzesbegründung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) soll die Geschlechtsidentität zusammen mit der sexuellen Orientierung von dem in § 1 AGG genannten Merkmal „sexuelle Identität“ umfasst sein (BT-Drs. 16/1780, S. 31). Da die Benachteiligungsverbote wegen des Geschlechts strenger sind als diejenige wegen sexueller Identität, bekommen die betroffenen Menschen einen schwächeren Schutz. Dem steht die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegenüber, nach welcher die Geschlechtsidentität vom Antidiskriminierungsmerkmal „Geschlecht“ umfasst ist (EuGH, „P. ./. S.“, Urteil vom 30.04.1996 – Rs. C-13/94 –; „K. B. ./. National Health Service Pensions Agency“, Urteil vom 07.01.2004 – Rs. C-117/01 –; „Richards ./. Secretary of State for Work and Pensions“, Urteil vom 27.04.2006 – Rs. C-23/04 –). Mit der Klarstellung des Begriffs „Geschlecht“ sollen zudem im AGG alle Geschlechtsidentitäten sowie den Geschlechtsausdruck entsprechend des Europarechts vor Benachteiligungen geschützt werden. Zu Artikel 3 (Änderung des Personenstandsgesetzes) Zu Nummer 1 Der neue Absatz stellt klar, dass auch ältere Kinder und Erwachsene die Möglichkeit haben, den Geschlechtseintrag im Geburtenregister offen zu lassen oder – soweit bereits eine Eintragung des Geschlechts in „weiblich“ oder „männlich“ vorgenommen wurde – diesen Eintrag nach den §§ 47 ff. PStG berichtigen zu lassen, weil er bereits seit der Geburtsbeurkundung unrichtig war. Dies erfolgt gem. § 1 des vorliegenden Gesetzes. Im Berichtigungsverfahren ist keine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Der Geburtseintrag wird in diesem Fall berichtigt und ohne eine Angabe des Geschlechts fortgeführt. Zu Nummer 2 Durch neuen Absatz 3 im § 47 wird das neue Verfahren eingeführt. Danach berichtigen die Standesämter die Geburtseinträge – Angaben über Geschlecht und Vornamen – entsprechend den gestellten Anträgen, erstellen einen den Änderungen entsprechenden Auszug aus dem Geburtsregister sowie eine Bescheinigung darüber aus, dass und welche Änderungen vorgenommen wurden, und übermittelt diese der antragstellenden Person. Im Falle einer Person ohne deutsche Staatsangehörigkeit gilt die Regelung entsprechend, sodass das Standesamt eine Bescheinigung darüber ausstellt, dass und welche Änderungen vorgenommen wurden, und übermittelt diese der antragstellenden Person. Zu Artikel 4 (Inkrafttreten, Außerkrafttreten) Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes und legt es drei Monate nach der Verkündung fest. Das Transsexuellengesetz tritt ein Jahr danach außer Kraft. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333